Die Lyme-Borreliose: Schreckgespenst einer Krankheit bei Mensch und Hund?
Keine anderen Parasiten ärgern Hundebesitzer mehr als Zecken: Außer im kalten Winter kommen unsere Hunde nach fast jedem Spaziergang im Grünen mit diesen Plagegeistern im Fell nach Hause und wir fragen uns, was wir gegen diese Parasiten unternehmen können, von denen es immer wieder heißt, dass sie gefährliche Krankheiten übertragen können, nicht nur auf den Hund, sondern auch auf uns Menschen. Zwei von Zecken übertragene Erreger sind bei uns in Mitteleuropa am meisten gefürchtet: Die durch Borrelien (Bakterien) hervorgerufene Lyme-Borreliose und die virusinduzierte "Frühsommer-Meningoenzephalitis" (FSME), eine Form der Hirnhautentzündung. In diesem Artikel sollen alte und neue Erkenntnisse über die Lyme-Borreliose, ihre Vorbeugung und Behandlung zusammengefasst werden.
Die Symptome der Krankheit
Benannt ist die Krankheit nach den sie verursachenden Bakterien und der Stadt Lyme in den USA, wo die Krankheit weit verbreitet ist. Sie entwickelt sich bei Mensch und Tier meist schleichend: Am Beginn steht häufig die "Wanderröte" (Erythema chronicum migrans oder einfach nur Erythema migrans), eine sich um die Bissstelle über Wochen vergrößernde Rötung der Haut, die allerdings nicht immer und beim Hund nur in Ausnahmefällen auftritt. Die Wanderröte ist nicht zu verwechseln mit der fast immer auftretenden, knotenartigen Entzündung an der Einstichstelle. Von hier aus kann sich der Erreger ausbreiten, wobei es zu Gelenkbeschwerden, Schmerzen in Muskulatur, Sehnen und Knochen kommen kann. Spätere Stadien können durch neurologische Störungen wie Hirn- und Hirnhautentzündung, Lähmungen sowie dem Befall innerer Organe (insbesondere Herz) gekennzeichnet sein; neurologische Komplikationen sowie eine Beteiligung des Herzens sind - anders als beim Menschen - beim Hund aber sehr selten. Bei Tier und Mensch dominieren im Spätstadium oft die Gelenkbeschwerden, wobei die Bakterien dann mit modernen molekularbiologischen Methoden (PCR) oft in der Gelenkflüssigkeit (Synovia) nachgewiesen werden können. Beim Hund (insbesondere beim Berner Sennhund, seltener auch beim Golden- und Labrador-Retriever) wird außerdem manchmal eine Nierenentzündung (Glomerulonephritis) mit der Borreliose in Verbindung gebracht [Kästen 1 u. 2].
Lyme-Borreliose beim Menschen
- Multiorganerkrankung. Häufig natürliche Resistenz
- Symptome sehr zahlreich; z.T. abhängig von Borrelien-Spezies
- Früh u.a.:
- Wanderröte (Erythema chronicum migrans); nicht immer beobachtet
- Grippe-ähnliche Symptome
- Spät u.a.:
- Gelenkbeschwerden, v.a. Knie ("Lyme-Arthritis")
- Neurologische Symptome: Lähmung der Gesichtsnerven, Enzephalitis, Konzentrationsschwierigkeiten, Nervenschmerzen, "Kreuzschmerzen", "Ischias"
- Kardiologische Symptome (Herz): Myokarditis, Perikarditis (Herzmuskel-, Herzbeutelentzündung) , Herzrhythmusstörungen
- Acrodermatitis chronica atrophicans: dünne, empfindliche Haut ("zigarettenpapierartiges" Aussehen) v.a. an Fesseln und großen Gelenken, auch Händen
- Früh u.a.:
Lyme-Borreliose bei Tieren
- Infektion häufig, Erkrankung selten, da in der Regel natürliche Resistenz vorliegt
- Viele positive Diagnosen (die meisten?) sind Fehldiagnosen!
- Erlegtes Rehwild trägt oft Tausende von Zecken, eine Erkrankung wird aber nie beobachtet
- Ca. 90% aller Hunde, die regelmäßig Zecken ausgesetzt sind, tragen Borrelien-Antikörper (sind "seropositiv")
- Nur ein sehr kleiner Anteil der infizierten Hunde erkrankt (<0,1%)
- Symptome:
- Polyarthritis (Gelenkbeschwerden, Lahmheit), Fieber
- Vermutlich selten auch: neurologische Symptome, Myokarditis, Glomerulonephritis (Nierenerkrankung)
Die meisten Menschen und Tiere sind Borreliose-resistent
In Deutschland sind etwa 20 bis 30% aller Zecken der Art "Gemeiner Holzbock" (Ixodes ricinus) Träger von Borrelien, mit starken regionalen Schwankungen. Die Borrelien gelangen erst ca. 16-24 Stunden nach Beginn des Saugaktes der Zecke in den Wirt. Man sollte meinen, dass der Zeckenbiss in diesen Fällen auch mit einer Infektion von Mensch oder Hund einhergeht. Zum Glück erkranken aber nur ein sehr kleiner Teil der Menschen und ein noch kleinerer Teil der Hunde, wenn sie infiziert werden. Viele Infizierte scheinen eine genetisch bedingte Resistenz zu besitzen und auch nach zahllosen Zeckenbissen nie zu erkranken, selbst dann, wenn sich die Bakterien im Körper ausbreiten.
Von Wildtieren, die ja in großem Maß von Zecken gebissen werden, nimmt man an, dass sie vollständig gegen die Krankheit resistent sind. Durch die Domestikation ist die Borreliose-Resistenz bei Haustieren wohl aber teilweise verloren gegangen. Solide Daten über die Resistenz gegenüber Lyme-Borreliose bei verschiedenen Hunderassen gibt es genauso wenig wie beim Menschen. Sicher ist lediglich, dass die meisten Hunde (sowie Wölfe), die regelmäßig von Zecken gebissen werden, Antikörper gegen Borrelien in sich tragen ohne zu erkranken.
Genauere Daten zur Erkrankungsrate sind nur beim Menschen bekannt. Eine Untersuchung an der Universität Heidelberg ergab, dass 3,5% aller von Zecken gebissenen Personen von Borrelien infiziert wurden. In den meisten Fällen kam es jedoch zu keinen weiteren Krankheitssymptomen außer der Wanderröte (und selbst die wird in weniger als der Hälfte aller Fälle beobachtet): Das körpereigene Immunsystem ist in der Regel in der Lage, die Bakterien abzutöten. Der Krankheitsverlauf und die Symptomatik der Borreliose hängen beim Menschen (und vermutlich auch beim Hund) von der infizierten Borrelien-Art ab. So wird Borrelia afzeliibevorzugt für Gelenk- und Hauterkrankungen, Borrelia garinii für neurologische Symptome und Erkrankungen des Herzens verantwortlich gemacht. Beim Menschen wurden zudem verschiedene genetische Faktoren gefunden, die entscheidend sind für die Unterschiede im Ausbruch und im Verlauf der Krankheit. Es ist anzunehmen, dass ähnliche Resistenzfaktoren auch dafür verantwortlich sind, ob und eventuell wie stark Hunde an Borreliose erkranken.
Beim Menschen wird davon ausgegangen, dass lediglich ca. 0,1 bis maximal 1,5% der Zeckenbisse zu einer Erkrankung führen. Da in zeckenverseuchten Gebieten bis zu 90% der daraufhin untersuchten Hunde Borrelien-Antikörper tragen (wovon die wenigsten erkranken), ist anzunehmen, dass die Zahl der Borreliose-resistenten Hunde sogar noch weit größer ist als die der resistenten Menschen.
Antibiotika-Therapie in den meisten Fällen erfolgreich
Eine korrekt durchgeführte Behandlung der Borreliose mit Antibiotika führt in aller Regel zum Verschwinden der Symptome. Obwohl Borrelien (im Gegensatz zu vielen anderen Bakterien) keine Resistenz gegen Antibiotika entwickeln können, gelingt es aber in Einzelfällen nicht, sie mit dieser Behandlung restlos aus ihren Nischen zu vertreiben. Wenig bekannt ist, dass Borrelien in Zellen eindringen können, wo sie von den meisten Antibiotika nicht oder nur schwer erreichbar sind. Die erste Wahl ist daher ein Antibiotikum, das auch intrazellulär wirksam ist. Dazu gehört vor allem Doxycyclin. Es muss aber unbedingt über mindestens 3 bis 4 Wochen gegeben werden, um die sich langsam vermehrenden Borrelien sicher abtöten zu können (bei Junghunden und trächtigen Hündinnen sollte es nicht gegeben werden, da sich die Zähne verfärben können). Auch die Gelenksflüssigkeit in den großen Gelenken, in denen sich Borrelien vermehren können, sind solche durch Antibiotika schwer zu erreichende Stellen. Das Doxycyclin hat außer seiner Bakterien-abtötenden Wirkung noch einen ganz anderen, einen "chondroprotektiven" Effekt: Es führt zu einer Verbesserung der Knorpelfunktion und damit zu einer Schmerzlinderung. Eine erfolgreiche Doxycyclin-Therapie muss also nicht unbedingt bedeuten, dass die Ursache der Schmerzen auf eine Borreliose zurückzuführen und diese nun besiegt ist – das Doxycyclin wirkt gleichsam auch wie ein gutes Schmerzmittel für die Gelenke.
Borrelieninfektionen hinterlassen wie die meisten bakteriellen Erkrankungen keine lebenslange Immunität. Daher sind erneute Erkrankungen durch erneute Infektionen möglich. Da es kaum Kreuzreaktionen zwischen den Antikörpern gegen die verschiedenen Borrelien-Arten gibt, kann ein sensitiver Patient außerdem immer auch an der Infektion mit einer Borrelien-Art erkranken, die nicht identisch ist mit der der ersten Infektion.
In der Humanmedizin wurden therapieresistente Fälle auch auf bestimmte Genkombinationen der Patienten zurückgeführt. In solchen Fällen muss sich die ärztliche Behandlung auf die Linderung der Symptome beschränken.
Ist eine Schutzimpfung sinnvoll?
Eine vorbeugende Schutzimpfung gegen die Lyme-Borreliose ist derzeit nicht für den Menschen, jedoch für den Hund erhältlich. Leider sind die in Europa erhältliche Schutzimpfungen noch mit Problemen behaftet, weswegen eine Anwendung der Impfstoffe kritisch zu sehen ist:
- In Deutschland und den Nachbarländern existieren (anders als in den USA) mehrere nah verwandte Erreger, von denen bisher 6 beim Menschen sowie mindestens 4 bei erkrankten Hunden nachgewiesen wurden und die für das Entstehen der Lyme-Borreliose verantwortlich gemacht werden [Kasten 3]. In Europa werden 80 bis 90% aller Infektionen beim Menschen durch Borrelia afzelii und B. garinii verursacht. Während Borrelia burgdorferi sensu stricto in den USA die einzige Borrelien-Art darstellt, spielt diese Art in Deutschland eine geringere Rolle und fehlt in einigen Regionen sogar vollkommen. Bis 2009 war der einzige in Mitteleuropa erhältliche Hunde-Impfstoff der Impfstoff Merilym®; dieser ist aber gerade gegen die bei uns seltene Borrelia burgdorferi s.s. gerichtet; er kann keine Immunität gegen die bei uns häufigen Borrelien-Arten induzieren, ist also bei der weitaus größten Zahl aller Infektionen wirkungslos! Anders verhält es sich bei einem erst seit Anfang 2010 auf dem Markt befindlichen Impfstoff, der von verschiedenen Firmen wie z.B. Virbac (alsVirbagen canis B®) angeboten wird. Er ist gegen die bei uns dominierenden Borrelien-Spezies B. afzelii und garinii gerichtet. In Infektionsversuchen am Hund konnte gezeigt werden, dass die Vermehrung der Borrelien in Haut, Gelenken und Muskulatur durch den Impfstoff verhindert wird. Dieser Impfstoff ist also (zumindest theoretisch) in der Lage, eine Infektion mit den beiden häufigen Borrelien-Arten zu verhindern.
Erreger der Lyme-Borreliose beim Menschen und ihre Häufigkeit bei Zecken in Deutschland
Borrelia burgdorferi sensu lato (i.w.S.), weit verbreitete Spezies:
- B. afzelii (30 - 50%)
- B. garinii (20 - 40%)
nur regional vorkommend:
- B. valaisiana (ca. 13%)
- B. burgdorferi sensu stricto (i.e.S.) (< 10%)
- B. lusitaniae
- B. spielmani
Verbreitung der Borrelien-Arten regional sehr unterschiedlich! In USA nur Borrelia burgdorferi sensu strictovorkommend, in BRD teilweise fehlend.
Ob auch die selteneren Arten B. lusitaniae und spielmani für Hunde pathogen sind, ist noch nicht gesichert. sensu lato = im weiteren Sinne,sensu stricto = im engeren Sinne
- Die in Mitteleuropa erhältlichen Impfstoffe sind sogenannte Ganz-Keim- oder Vollerreger-Vakzinen. Ein solcher Impfstoff besteht nicht aus einzelnen gereinigten Komponenten, sondern aus abgetöteten Bakterien und damit aus praktisch allen Bakterienbestandteilen, vor allem also aus unnötigen Komponenten. Von solchen früher auch in der Humanmedizin verwendeten Impfstoffen ist eine schlechte Verträglichkeit bekannt. Die Krankheitssymptome der Borreliose beruhen nicht nur auf dem direkten Einfluss der Bakterien, sondern sind nach unserem heutigen Kenntnisstand auch auf die Immunreaktion des Wirtes gegen die Borrelien zurückzuführen, beruhen also z.T. auf einer sog. Immunpathogenese. Dem Autor dieser Zeilen wurde von Tierärzten und Hundebesitzern immer wieder berichtet, dass gesunde Hunde Stunden nach einer Impfung schwer erkrankten. Eindeutige Beweise, dass die Symptome in diesen Fällen tatsächlich auf die Borreliose-Impfung zurückzuführen sind, sind schwer zu erbringen; es ist zu befürchten, dass Autoimmunreaktionen, die durch den Impfstoff hervorgerufen werden, zu diesen Symptomen führen. Tierarzt und Hundebesitzer sollten daher die Notwendigkeit einer Borreliose-Impfung kritisch überdenken. Außerdem wird, um einer Impfstoff-bedingten Erkrankung vorzubeugen, empfohlen, keinesfalls in der Zeckensaison zu impfen – wenn überhaupt. Zudem muss sichergestellt sein, dass die zu impfenden Tiere gesund und nicht bereits mit Borrelien infiziert sind - also keine Impfung ohne vorherigen sorgfältigen Nachweis, dass zumindest keine Borrelien-Antikörper vorhanden sind.
- Wie oben dargelegt, ist ein erheblicher Teil aller bei uns vorkommenden Zecken Träger von Borrelien, wobei der genaue Prozentsatz von Ort zu Ort und Jahreszeit zu Jahreszeit variiert. Hunde, die viel im Freien sind und häufig Zeckenkontakt haben, sind daher meist mit Borrelien infiziert und sozusagen natürlich geimpft worden. Sie haben bereits Antikörper gebildet - in aller Regel ohne zu erkranken.
- Leider sind die meisten serologischen Tests auf Borreliose (Tests auf Antikörper im Blut) schlecht und bringen einen hohen Anteil sowohl falsch positiver wie falsch negativer Ergebnisse! Nicht alle Labors beherrschen den Nachweis verlässlich (das gilt in der Humanmedizin ganz genauso)! Zu den besonders sicheren Methoden gehört der Nachweis der Borrelien in Kultur oder die sog. Polymerase-Ketten-Reaktion (PCR), eine moderne Methode zum spezifischen Nachweis von Erbmaterial (DNA). Untersuchungen belegen, dass die allgemein verwendeten Methoden zum Nachweis von Borrelieninfektionen erschreckend unsicher sind. Das gilt selbst für die moderne PCR, die aufgrund ihrer hohen Empfindlichkeit so geringe Borrelien-Zahlen nachweisen kann, dass jede Hunde-Haut, die gelegentlichen Zeckenbesuch aufzuweisen hat, positive Ergebnisse bringen kann, wenn die Blutentnahme nicht mit entsprechender Vorsicht vorgenommen wird. Borreliose bei Hunden ist daher kaum mit Sicherheit zu diagnostizieren und wird, wie es Frau Prof. Hartmann (München) in einem Fachblatt formulierte, "hoffnungslos überdiagnostiziert". Oft sind die beobachteten Symptome auf andere Erkrankungen zurückzuführen.
Schlussbemerkungen
Die Borreliose ist beim Hund viel seltener als beim Menschen und wird vielfach falsch diagnostiziert. Auch aus diesem Grund stehen die meisten Fachleute einer Borrelien-Schutzimpfung für Hunde derzeit skeptisch gegenüber. An der Entwicklung von wirkungsvollen Vakzinen wird intensiv gearbeitet, so dass zu hoffen ist, dass auf lange Sicht verlässliche Impfstoffe zur Anwendung bei Mensch und Tier zur Verfügung stehen werden. Wen die Krankheit trifft, hat mit der richtigen Behandlung aber gute Aussichten auf eine Heilung.
Das Beste, was man gegen die Hunde-Borreliose tun kann, ist wohl die Vorbeugung: Den Hund äußerlich mit einem der gegen Zecken wirksamen Mittel behandeln (Scalibor-Halsband oder ein Spot-On-Präparat wie ExSpot, Advantix, Preventic, Frontline o.ä.) und nach jedem Spaziergang gut nach den Tierchen absuchen.
Wichtige Informationsquellen:
- Nationales Referenzzentrum für Borrelien
http://www.lgl.bayern.de/gesundheit/nrz_borrelien/ - Nationales Referenzlabor für durch Zecken übertragene Krankheiten (Friedrich-Löffler-Institut, Jena)
http://www.fli.bund.de/593.html
Vorsicht vor Informationen aus dem Internet (Foren), speziell bei Behandlungs(miss)erfolgen!
Autor:
©Dr. Roland Friedrich (Roland.Friedrich[at]med.uni-giessen[dot]de)
Professor i .R. für Virologie und molekulare Onkologie am Universitätsklinikum Gießen
http://www.glamis.de/borrel.html
Der Originalartikel erschien in der Juni-Ausgabe 2009 von "Der Retriever", der monatlichen Zeitschrift des Deutschen Retriever-Clubs. Zuletzt vom Autor überarbeitet 2011.