Epilepsie beim Retriever
Der folgende Text wurde uns freundlicherweise von dem Veterinärneurologen Dr. Rentmeister zur Verfügung gestellt. Der Autor hat im Juni 2012 im Rahmen der DRC-Züchterversammlungen einen Vortrag mit gleichem Thema gehalten. DRC-Mitglieder finden diesen Text auch in der Clubzeitung 08/2012. Über die züchterischen Wege, die Häufigkeit dieser Erkrankung zu erkennen und sie so klein wie möglich zu halten, soll in einem späteren Artikel berichtet werden.
Was ist Epilepsie und woher kommt sie?
Epilepsie ist eine Erkrankung des Gehirns, bei der es zu übermäßiger Aktivität von Nervenzellen und durch Erregungsausbreitung schließlich zu Krampfanfällen kommt. Unterschieden werden:
- die primäre (oder idiopathische) Epilepsie. Bei dieser Krankheit kommt es durch eine vererbte Veranlagung zu einer - im Vergleich zu gesunden Tieren - erniedrigten Reizschwelle für Übererregungen im Gehirn. Bei einigen Hunderassen (z. B. Golden Retriever, Labrador Retriever, Collie, Berner Sennenhund, Beagle und viele mehr) ist sicher nachgewiesen, dass die primäre Epilepsie eine Erbkrankheit ist. Erkrankte Tiere sollten daher prinzipiell von der Zucht ausgeschlossen werden. Die Anfälle fangen durchschnittlich im Alter von eineinhalb bis fünf Jahren an. Katzen erkranken wesentlich seltener als Hunde.
- die sekundäre (oder symptomatische) Epilepsie. Die Krämpfe werden hierbei durch andere Grundkrankheitenhervorgerufen. Dies können einmal innere Krankheiten (z. B. Leber- und Nierenerkrankungen, Störungen im Elektrolythaushalt, Schilddrüsenunterfunktion) oder Krankheiten des Gehirnes (z. B. Tumoren, Entzündungen, Missbildungen) sein. Die Krämpfe können in jedem Lebensalter auftreten, besonders verdächtig sind aber Krämpfe bei sehr jungen oder sehr alten Tieren.
Bei beiden Epilepsieformen gibt es Anfälle in verschiedener Stärke und Ausprägung. Beim „klassischen“ generalisierten Anfall ist der Patient nicht ansprechbar, liegt in Seitenlage, macht Ruderbewegungen mit den Beinen, setzt Harn und Kot ab, speichelt vermehrt, verdreht die Augen, klappert mit dem Kiefer und zeigt starke Krämpfe. Die Anfälle dauern in der Regel zwei bis maximal zehn Minuten. Die Tiere sind danach meistens sehr müde oder desorientiert.
Wie kann ich Epilepsie nachweisen?
Im Moment kann die primäre Epilepsie noch nicht direkt nachgewiesen werden, die endgültige Diagnose kann daher nur im Ausschlussverfahren gestellt werden, allerdings wird aktuell (Stand 09-2011) bei verschiedenen Hunderassen an Gentests gearbeitet, welche vielleicht in einigen Jahren marktfertig sind.
Krankheiten, die eine sekundäre Epilepsie auslösen könnten, werden durch nachfolgend beschriebene Untersuchungen bestätigt oder ausgeschlossen, um eine gezielte und sinnvolle Therapie einzuleiten (siehe dazu das Diagramm): Nach einer sorgfältigen klinisch-neurologischen Untersuchung werden mindestens eine ausführliche Blutuntersuchung durchgeführt und Röntgenbilder von Bauch und Brust angefertigt. Manchmal sind auch andere weiterführende Untersuchungen wie Ultraschall, EKG oder Urinanalysen nötig.
Um andere Krankheiten des Gehirns auszuschließen, sollte man eine Kernspintomographie (MRT, MRI) vom Gehirn anfertigen und die Gehirnflüssigkeit untersuchen.
Die Messung der Gehirnströme (EEG) spielt heutzutage wegen der hervorragenden bildgebenden Verfahren nur noch eine untergeordnete Rolle. Falls kein MRT zugänglich ist, kann eventuell auch ein Computertomogramm (CT) vom Gehirn angefertigt werden.
Alle genannten Untersuchungen sind nur in Vollnarkose möglich. Wenn diese Untersuchungen alle unauffällig sind, kann man relativ sicher davon ausgehen, dass Ihr Tier an primärer Epilepsie leidet und dementsprechend behandelt werden muss. Ansonsten wird die Krankheit, welche die sekundären Krampfanfälle auslöst, therapiert.
Wie behandelt man Epilepsie?
In der Tiermedizin stehen nur wenige Wirkstoffe („Antiepileptika“ oder „Antikonvulsiva“) zur Verfügung. Altbewährt sind Phenobarbital (z.B. Phenoleptil®) und Kaliumbromid (Dibro-Be®). Bei Katzen kann eventuell auch der Wirkstoff Diazepam (z.B. Valium®) als Dauertherapeutikum eingesetzt werden. Diese Medikamente können einzeln oder in Kombination angewandt werden. Wichtig ist eine ausreichend hohe Anfangsdosierung. Beide Medikamente müssen zweimal täglich in Tablettenform verabreicht werden. Eine Kombinationstherapie mit einem zweiten Präparat sollte erst dann begonnen werden, wenn das Erst-Therapeutikum ausdosiert ist. Primidon (z.B. Resematil® oder Mylepsinum®) sollte nicht mehr verwendet werden, da der Hauptwirkstoff Phenobarbital erst durch eine auf Dauer toxische Umwandlung in der Leber entsteht.
Medikamente aus der Humanmedizin finden in letzter Zeit zunehmend Einsatz auch in der Tiermedizin, allerdings haben diese relativ kurze Halbwertszeiten, so dass eine drei- bis viermalige tägliche Gabe nötig ist. Aktuell verwendete Wirkstoffe sind Gabapentin (z.B. Neurontin®, Gabapentin-xy®), Pregabalin (Lyrica®), Levetirazetam (Keppra®), Topiramat (z.B. Topamax®) und Zonisamid (Zonegran®). Diese Medikamente sind bei großen Hunden teilweise aber sehr teuer und abgesehen von Zonisamid fehlen klinische Studien über Wirksamkeit und Verträglichkeit.
Mit diesen Therapiemöglichkeiten gelingt es leider nicht immer, alle Tiere anfallsfrei zu bekommen. In vielen Fällen ist es bereits ein Erfolg, wenn die Patienten seltener und schwächer krampfen. Genau wie beim Menschen besitzen etwa 20-30% der epileptischen Patienten eine genetisch bedingte „Resistenz“ gegen alle Antiepileptika (und andere Pharmaka), so dass trotz gesättigtem Blutspiegel niemals ein ausreichender Wirkstoffspiegel im Gehirn aufgebaut werden kann. Die betroffenen Patienten besitzen ein besonders effektives Eiweiß-Transporter-Molekül (kodiert durch das MDR-1 Gen), welches den Wirkstoff wieder sofort aus der Nervenzelle hinausbefördert. Dadurch stellt sich kein Behandlungserfolg ein.
Nebenwirkungen:
Im Allgemeinen werden die Medikamente sehr gut vertragen. Bei Erstbehandlung oder Dosiserhöhung kann Ihr Tier müde werden (neben der antiepileptischen Komponente haben einige der oben genannten Medikamente auch eine leichte narkotische Wirkung). Ein Gewöhnungseffekt tritt dosisabhängig nach ein paar Tagen bis Wochen ein.
Als dauerhafte Nebenwirkungen werden je nach Wirkstoff vor allem vermehrter Durst und Hunger, sehr selten leichte Wesensveränderungen beobachtet. Da, wie bei jeder Dauertherapie, eine gewisse Belastung von Leber (v.a. bei Phenobarbital) und Niere (Kaliumbromid) nicht zu vermeiden ist, sollten Sie die Leber- und Nierenwerte regelmäßig kontrollieren lassen. Neuere Untersuchungen zeigen, dass die Leberwerte bei Phenobarbital stark erhöht sein können, die Leber selbst aber nicht oder nur gering geschädigt wird – im Gegensatz zu Primidon.
Die neueren Medikamente aus der Humanmedizin haben wesentlich weniger Nebenwirkungen als Phenobarbital und Kaliumbromid und sind deswegen wenn möglich vorzuziehen.
Es ist grundsätzlich sehr wichtig, die Medikamente nicht plötzlich abzusetzen oder die Dosierung eigenmächtig zu verändern, da hierdurch schwere Anfälle bis hin zum lebensgefährlichen „Status epilepticus“ (Tier kommt nicht mehr aus dem Anfall heraus) provoziert werden können. Antiepileptika haben eine gewisse Vorlaufzeit: bei Phenobarbital sind es etwa zwei bis drei, bei Kaliumbromid etwa acht Wochen. Treten also bei Erstbehandlung oder nach einer Dosiserhöhung in diesen Zeiten noch Anfälle auf, so ist die Therapie nicht gleich als fehlgeschlagen zu bewerten.
Um die Tiere richtig auf das Medikament einzustellen und wegen der großen individuellen Schwankungen sind regelmäßige Blutuntersuchungen in Speziallabors notwendig. Hierbei wird der Wirkstoffspiegel des Antiepileptikums bestimmt, was nicht bei jedem aktuell verfügbaren Medikament möglich ist. Insgesamt kann es also mehrere Monate dauern, bis Ihr Hund richtig eingestellt ist.
Der Einfluss männlicher oder weiblicher Geschlechtshormone spielt nach der aktuellen Literatur übereinstimmend keine Rolle, so dass eine Kastration oder medikamentelle Triebdämpfung Ihres Haustieres nur dann sinnvoll ist, wenn Anfälle direkt und wiederholt durch sexuelle Erregung hervorgerufen werden (z. B. Rüde in Anwesenheit einer läufigen Hündin). Eine chirurgische Therapie (Versuch, den epileptischen Fokus aus dem Gehirn zu entfernen), die bei ausgewählten Patienten in der Humanmedizin routinemäßig und meist erfolgreich durchgeführt wird, ist bei unseren Haustieren aus verschiedenen Gründen nicht möglich. Die Vagusstimulation (Anschließen eines permanenten „Schrittmachers“ an den Vagusnerv mit Dämpfung des Gehirns) befindet sich im Experimentalstadium und ist kaum bezahlbar (Kosten für das Implantat ca. 10.000,- EUR).
Was kann ich vor/bei/nach einem Anfall machen?
Bei einigen Tieren kündigt sich ein Krampfanfall durch Unruhe oder verändertes Verhalten an. In dieser Phase vor dem Anfall („Aura“) ist es möglich, das Tier zu beruhigen und damit die Schwere des Anfalls zu dämpfen oder den Anfall sogar zu vermeiden.
Während eines Krampfanfalls sollten Sie bitte nichts unternehmen, sondern warten, bis der Anfall vorüber ist (es sind schon viele Besitzer von krampfenden Hunden gebissen worden!). Falls nötig können Sie (spitze) Gegenstände aus dem Weg räumen, um Verletzungen vorzubeugen.
Nach einem Anfall können Sie nur nach Rücksprache mit Ihrem Tierarzt Diazepam (z.B. Valium®) verabreichen - entweder als Zäpfchen oder als rektale Spritze. Dies ist dann nötig, wenn Ihr Haustier mehr als zwei Anfälle hintereinander bekommt oder sich nach einem Anfall überhaupt nicht mehr beruhigt. Sollte Ihr Tier den Status epilepticus (s. o.) erreichen, so müssen Sie so schnell wie möglich zu einem Tierarzt/ einer Tierärztin. Es handelt sich hier um eine lebensbedrohliche Notfallsituation!!
Sonstiges
- Bei unklaren Verhaltensstörungen oder Epilepsieverdacht können Sie mir gerne ein Videoband zur Beurteilung zukommen lassen.
- Es ist für Ihren Tierarzt/Ihre Tierärztin eine große Hilfe, wenn Sie einen Anfallskalender führen (Datum, Dauer, Art und Schwere der Anfälle). So wird eine therapiebegleitende Beratung möglich und der Therapieerfolg besser erkennbar.
© Dr. Kai Rentmeister, Tierarzt, DiplECVN,
Dettelbach, Tel.: 09302/932210,
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