Skeletale Dysplasie 2 (SD2)
Eine milde Form von Zwergwuchs beim Labrador-Retriever
Formen des Zwergwuchses
In der Literatur werden verschiedene Formen von Zwergwuchs bei diversen Rassen beschrieben. Oft ist die Mutation, die Zwergwuchs verursacht, noch unbekannt.
Beim Labrador bekannt ist RD/OSD (Retinadysplasie/Okuloskeletale Dysplasie). Während einzelne Netzhautfalten (fokale, multifokale Form der Retinadysplasie) als harmlos betrachtet werden können, hat die sogenannte geographische Form der Retinadysplasie mit völliger Ablösung der Netzhaut Blindheit zur Folge. Sie führt zu schwerwiegenden gesundheitlichen Beeinträchtigungen, kann manchmal mit schwerer Skelettmissbildung vergesellschaftet sein und zu Zwergwuchs führen. Diese Mutation kommt selten vor. RD/OSD wird autosomal rezessiv vererbt (aber: unvollständige Penetranz und Expression). Ein DNA-Test (Optigen) steht seit einigen Jahren zur Verfügung.
Ebenso wird CD (Chondrodysplasie) beim Labrador beschrieben. Bei chondrodysplastischen Rassen wie Teckel und Basset sind die kurzen krummen Beine ein vom Standard vorgeschriebenes charakteristisches Merkmal. Diese Form des Zwergwuchses geht mit einem sogenannten „radius curvus“ einher. Ein vorzeitiger Wachstumsstillstand der Elle (Ulna) bei noch weiter wachsender Speiche (Radius) führt beim Junghund zu einer Verkrümmung der Vordergliedmaßen mit auswärts gestellten Pfoten bei normaler Größe des Rumpfes. Häufig resultieren daraus sekundäre Gelenkprobleme, besonders im Ellenbogen. Ein „radius curvus“ kann röntgenologisch diagnostiziert werden. Die Analyse der Ahnentafeln von Labrador-Retrievern mit CD macht einen rezessiven Erbgang zumindest wahrscheinlich.
Die Skeletale Dysplasie 2 (SD2) ist eine Mutation, die eine weitere milde Form von disproportioniertem Zwergwuchs beim Labrador-Retriever bewirkt. Es handelt sich um eine vererbte Anomalie des Knorpel- und Knochenwachstums, die zu einem vorzeitigen Stillstand des Wachstums der langen Röhrenknochen führt. Bei normaler Rumpflänge und –tiefe ist die Vorhand oft mehr als die Hinterhand betroffen. Die röntgenologischen Unterschiede zwischen einem „normalen“ und einem genetisch nachgewiesenen „Zwerg“ sind marginal. Betroffene Labrador-Retriever haben zwar in aller Regel etwas kürzere Beine, sind aber aufgrund der normalen Variation der Schulterhöhe innerhalb der Population phänotypisch nicht immer als betroffen zu erkennen. Körperbau und Schulterhöhe werden durch viele Gene und auch durch Umweltfaktoren beeinflusst. Diese Variation gibt es nicht nur in der SD2-freien Population; auch die Größen von SD2 betroffenen Labrador-Retrievern sind variabel. Anlagen, die bei der Ausbildung der Körpergröße mitwirken, können die Wirkung der Mutation auch bei Betroffenen manchmal kompensieren.
Nach bisherigem Kenntnisstand verursacht SD2 keine gesundheitlichen Probleme wie z. B. sekundäre Gelenkserkrankungen. SD2 ist nicht schmerzhaft und hat daher keinen Krankheitswert für die von diesem Merkmal betroffenen Hunde. Es bestehen keine Einschränkungen für die Arbeit außer den üblichen Einflüssen von Körperbau und Länge der Beine auf Geschwindigkeit und Springfähigkeit. Menschen, die eine Mutation im gleichen Gen wie die von SD2 betroffenen kleinwüchsigen Labradors haben, sind sehr oft schwerhörig und sehen manchmal auch noch schlecht. Dieses scheint nach bisherigem Wissensstand beim Labrador nicht der Fall zu sein. Viele der genetischen Zwerge werden als Jagdhund eingesetzt oder arbeiten erfolgreich mit Dummys. Dafür müssen die Hunde sowohl Schüsse hören können und auch das Wild/Dummy fallen sehen. Einige wurden und werden in verschiedenen Ländern zur Zucht eingesetzt, zum Teil wegen ihrer hervorragenden Arbeitsanlagen, aber auch, weil sie in aller Regel besonders substanzvoll sind und daher auf Ausstellungen z. T. sehr gute oder sogar vorzügliche Bewertungen erhalten.
Als Ursache für diese Form von mildem Zwergwuchs beim Labrador-Retriever wurde am Institut für Genetik der Universität Bern eine Mutation auf Chromosom 12 entdeckt. Diese Mutation ist eine andere als bei RD/OSD und wurde zur Unterscheidung SD2 genannt. Es wurde ein monogen autosomal rezessiver Erbgang nachgewiesen. Ein direkter Gentest, der nur diese durch das SD2-Gen verursachte Form von mildem Zwergwuchs nachweist, wurde entwickelt. Andere erbliche Skelettmissbildungen beim Labrador-Retriever, die durch andere Mutationen verursacht werden, können durch diesen Gentest nicht erfasst werden. Der Gentest wurde nicht patentiert, so dass er bereits seit Oktober 2012 von kommerziellen Labors angeboten wird. Dieser Test bietet theoretisch 100%ige Sicherheit, den Genotyp der untersuchten Tiere bezüglich SD2 festzustellen. Theoretisch deshalb, weil Fehler, wie z. B. Probenverwechslungen beim Tierarzt oder im Labor oder auch Ablesefehler nie ganz auszuschließen sind.
Diese Form des Kleinwuchses wurde bisher überwiegend bei Labrador-Retrievern aus reinen Arbeitslinien und Kreuzungen aus Schau– und Arbeitslinie nachgewiesen. Es gibt aber auch in reinen Schaulinien einige Anlageträger.
Konsequenzen für die Zucht
Kleine Labrador-Retriever gab es schon in den Anfängen der Zucht. So wird für den 1885 geborenen Buccleuch Avon, der als Stammvater der Rasse gilt, lediglich eine Größe von 20 Inch (50,8 cm) angegeben.
SD2 hat keinen Krankheitswert für die Betroffenen, denn Hunde mit diesem Merkmal leiden nicht. Es handelt sich also nur um ein „kleines“ Problem der Labrador-Retriever. Neben den lediglich etwas kleinen - im Phänotyp kaum oder auch gar nicht auffälligen Zwergen - gibt es allerdings auch solche, die aufgrund ihrer Größe sofort als Zwerg angesprochen werden können. Der Käufer eines Labrador-Retrievers kann aber zu Recht erwarten, dass sein Hund im ausgewachsenen Zustand über 50 cm groß sein wird. Wenn wir Züchter also auf eine so einfache Weise dieses „kleine“ Problem verhindern können, sind wir dazu den Käufern unserer Hunde gegenüber auch verpflichtet.
Ein sehr großer Fehler wäre es, die Trägertiere nicht mehr zur Zucht zu verwenden, um dieses Gen schnell und radikal auszumerzen. Ohne Not gingen dann sicher auch wertvolle Eigenschaften verloren. Ist es doch sowohl in den Arbeits- als auch in den Schaulinien sehr schwierig, Paarungen zu finden, ohne einen gewissen Inzuchtgrad oder ohne jeden Ahnenverlust. Mit einem Gentest für ein rezessives Merkmal aber können ohne jedes Risiko sowohl Träger und für eine Generation auch Betroffene züchterisch eingesetzt werden ohne den Genpool weiter einzuengen.
Meine persönliche Empfehlung geht daher dahin, in Zukunft nur noch Paarungen vorzunehmen, bei denen einer der Partner auf freiwilliger Basis als nicht betroffen getestet wurde.
Literatur:
Frischknecht, Mirjam (2012): Identification of a COL11A2 mutation in Labrador-Retrievers with disproportionate dwarfism
http://www.plosone.org/article/info%3Adoi%2F10.1371%2Fjournal.pone.0060149
http://www.genetics.unibe.ch/content/forschung/labrador_zwergwuchs/index_ger.html
Lord George Scott& Sir John Middleton (1990) Peregrine Books: The Labrador Dog. Its Home and History.
Autor:
© Dr. Helena Niehof-Oellers