Informationen zur ED-Auswertung
Sehr geehrte Züchter und Züchterinnen im Deutschen Retriever Club e.V.,
hiermit möchte ich Ihnen ein paar Hinweise zur Auswertung von Röntgenbildern zur Ellbogengelenksdysplasie (ED) geben.
Auswertung von ED-Röntgenaufnahmen
Die Auswertung der ED erfolgt durch die Gutachter der GRSK nach den Vorgaben der „International elbow working group“ (I.E.W.G., 2015).
Als Gutachter für HD und ED sind im DRC e.V. folgende Gutachter der GRSK tätig:
Dr. Bernd Tellhelm für Labrador-Retriever, für Flat-Coated Retriever, für Chesapeake-Bay-Retriever, für Curly-Coated Retriever und für Nova-Scotia-Duck-Tolling-Retriever.
Dr. Heinrich Camp für Golden Retriever.
Für den DRC e.V. werden die Aufnahmen ebenfalls in Anlehnung an die Regeln der I.E.W.G. wie folgt ausgewertet:
ED-Grad 0: ED-frei
- Arthrosegrad 0 – normaler arthrosefreier Ellbogen
- keine Osteophyten (keine knöcherne Auflagerungen bzw. Zubildungen an den Gelenkrändern, Doppelkonturen, Konturveränderungen oder Rauhigkeiten
- normales mediales Coronoid (klare scharfe, normal geformte Kontur und homogene Dichte)
- keine Sklerose (Verdichtung)
- keine Inkongruenz (Stufe zwischen Elle und Speiche)
- Keine Primärerkrankung (IPA, FPC, OCD)
ED-Grenzfall: Übergangsform
- fragliche subtrochleare Sklerose
- fragliche Konturunschärfen proximal am Proc. anconaeus (auf dem Dach des Proc. anconaeus) und/oder am med. Proc. coronoideus
ED-Grad 1: leichte ED
- Arthrosegrad 1 (geringgradige Arthrose):
- Osteophyten (Zubildungen) an verschiedene Lokalisationen in einer Höhe/Dicke von <2mm
- oder/und minimale/fragliche subtrochleare „Sklerose“ (Verschattung/ Verdichtung des Knochens mit akzentuierter aber erhaltener Trabekelzeichnung) oder minimale Coronoidveränderung
ED-Grad 2: mittlere ED
- Arthrosegrad 2 (mittelgradige Arthrose):
- Osteophyten an einer oder mehreren Lokalisationen von 2<5mm Höhe/Dicke
- oder/und indirekte, hinweisende Zeichen, die den Verdacht auf eine Primärläsion zulassen:
- subtrochleare Sklerose (Verschattung/ Verdichtung des Knochens mit Verlust der Trabekelzeichnung = deutliche Sklerose)
- Veränderungen am medialen Coronoid (Konturstörung und/oder Demineralisation)
- oder/und radio-ulnare Stufe von 2-5mm
ED-Grad 3: schwere ED
- Arthrosegrad 3 (hochgradige Arthrose):
- Osteophyten an einer oder mehrerer Lokalisationen von > = 5mm Höhe/Dicke
- und/oder direkte, offensichtliche, beweisende Zeichen einer Primärläsion (IPA, OCD (oder Kontaktläsion), FPC (nur sehr selten direkt erkennbar)
- und/oder radio-ulnare Stufe größer 5mm
Bisher wurden vom DRC zwei Röntgenaufnahmen der Ellbogengelenke gefordert: eine seitliche Position (ML) in gebeugter Haltung (ca. 40° - 70°) und eine Aufnahme auf der Brust liegend mit nach vorn gestreckten Beinen (AP auf der Rückseite des Bogens genannt, eigentlich CC) mit 15° Pronation.
Probleme bei der Auswertung der Ellbogenaufnahmen:
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Bei der ML-Aufnahme ist durch die relativ starke Winkelung der Gelenke (die oft auch stärker als 40° sind) fast nur der proximale Rand (das Dach) des Processus anconaeus im Hinblick von osteoarthrotischen Zubildungen zu beurteilen (das war wohl auch das Ziel bei der Einführung diese Aufnahme beim DRC, da sich nach früheren Erkenntnissen diese auch an dieser Lokalisation als erstes bilden).
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Es kommt durch das Anbeugen oft unweigerlich auch zu einer mehr oder weniger starken Verkippung des Gelenkes und zur Überlagerung anderer, für die Beurteilung wichtiger Strukturen (z.B. vorderer Rand des Radius [Speiche], die subtrochleare Sklerose [Verdichtung]) und auch eine Stufenbildung kann nicht beurteilt werden
Eine Besonderheit meiner Beurteilung ist offenbar insbesondere der Grenzfall. Da bei der bislang vom DRC geforderten Lagerung nahezu nur das Dach des Proc. ancoaneus auf Arthrosen hin beurteilt werden kann, lege ich besonderen Wert auf die Beurteilung von Zubildungen auf dem Dach des Proc. anconaeus. Sind diese Zubildungen für mich als eindeutige Arthrosen zu identifizieren, bewerte ich das Gelenk, bei denen sie bis zu 2mm vorliegen als „ED-Grad 1“. Sind sie nicht als eindeutige osteophytäre Zubildungen zu
erkennen, sondern es könnte sich im Rahmen der Lagerungen auch zu einer Verkippung des Gelenkes mit Überlagerung des Daches des Proc. anconaeus z.B. durch Überprojektion der Konturen (Kanten) gekommen sein oder sind dezente, nicht eindeutige Hinweise auf ED vorhanden, stufe ich diese Gelenke als „Grenzfall“ ein. Ich kann in diesen ersteren Fällen nicht ganz sicher sagen, ob die vorliegenden Veränderungen tatsächlich Zubildungen sind, aber ich kann es auch nicht sicher ausschließen. Andere Merkmale (siehe oben) für eine ED lassen sich anhand dieser gebeugten Aufnahme nicht wirklich gut bewerten.
Natürlich ist die Beurteilung auch von der Qualität der Aufnahmen abhängig. Also spielt nicht nur die Lagerung eine Rolle, sondern auch die Belichtung bei konventionellen Bildern
/Ausleseparameter bei digitalen Aufnahmen sind nicht immer perfekt.
Da diese Form der ED, nämlich der fragmentierte Processus coronoideus medialis der Ulna (FPC), röntgenologisch selbst nicht oder nur extrem selten direkt auf dem Röntgenbild
erkannt werden kann, kann nur eine Verdachtsdiagnose anhand der Sekundärveränderungen (Arthrosen, Sklerose, Stufenbildung, vordere Kontur und Dichte des Proc. coronoideus medialis) erfolgen. Arthrosen lassen sich am besten auf dem Dach des Proc. coronoideus nachweisen und auch messen, weshalb damals beim DRC wohl auch die gebeugte Aufnahme eingeführt wurde. Jedoch kann es hier in einigen Fällen zu der Beurteilung „Grenzfall“ kommen (siehe oben), weshalb ich vorschlagen würde, noch eine zweite Aufnahme vom Ellbogengelenk im ML-Lagerung anzufertigen und zwar mit gestrecktem Gelenk (120-130°). Auf diesen Aufnahmen könnten dann auch die anderen Lokalisationen (siehe oben) besser beurteilt werden.
Die Aufnahme in der anderen Lagerung (als AP auf der Rückseite des Befundbogens genannt, eigentlich eine CC) kann jedoch nicht entfallen, denn bei den Retrievern spielt auch die Osteochodrosis dissecans (OCD) eine gewisse Rolle, die auf diesen Aufnahmen besser erkannt werden können.
Ich habe Ihnen zum besseren Verständnis in der Abbildung 1 ein paar Zeichnungen (Quelle: IEWG) aufgeführt. (Bitte auf das Bild klicken)
Abbildung 1: Zeichnungen vom Ellbogen (Quelle: IEWG) zum Verständnis der Strukturen bei (1) gestrecktem Gelenk, gebeugtem (2a) Gelenk und (2b) in Brustlage liegend mit
vorgestreckter Vordergliedmaße.
Legende: a: Dach des Proc. anconaeus, b: vorderer Rand des Radius (Speiche), c: vordere Kontur des medialen Proc. coronoideus (innerer Kronfortsatz), d: kaudaler Rand des lateralen Epikondylus, e: lateraler Proc. coronoideus (äußerer Kronfortsatz), f: unterer, medialer Rand des distalen Humerus (Rollkamm des unteren, medialen Oberarmknochens), g: Bereich des medialen Randes des Proc. coronoideus medialis.
Eine andere Möglichkeit wäre, statt der stark gebeugten Aufnahme eine Aufnahme mit einem Gelenkwinkel von 90° anzufertigen. Bei dieser Aufnahme kann z.B. eine Stufe
(Inkongruenz) zwischen Elle und Speiche besser als bei der gebeugten beurteilt werden, jedoch kann durch Überlagerung das Dach des Proc. anconaeus (und damit
osteoarthrotische Veränderungen) nicht so gut beurteilt werden. Bei dieser Lagerung steht der Schwachpunkt der Verkippung auch nicht mehr so stark im Fokus, jedoch sind auch bei dieser Lagerung Lagerungsfehler möglich, und es kann zu zweifelhaften Befunden kommen. Diese Aufnahme wäre ein Kompromiss zwischen der gebeugten und der
gestreckten Lagerung.
Da die Diagnose der ED und insbesondere die direkte Erkennung des FPCs oft problematisch ist, kann es gerade wenn nur diese eine Aufnahmen begutachtet wird, auch mal passieren, dass der eine oder andere Ellbogen mit „ED 0“ bewertet wird, obwohl eine ED bzw. ein FPC vorliegt. Diese Erkrankung ist mit einem hohen Leidensdruck für den jeweiligen Hund und den Besitzer belastet. Daher würde ich aus Interesse an der Rasse und der Zucht anregen, dass eine retrospektive Untersuchung durchgeführt wird, die alle in den letzten 5 bis 6 Jahren (z.B. 2010-2015) untersuchten Hunde mit ED-0, ED-Grenzfall (und ggf. auch ED-1) per Fragebogen nachkontrolliert.
Es wäre sehr interessant zu wissen, ob bei diesen Hunde jemals eine Lahmheit aufgetreten ist oder ob einer dieser Hunde vielleicht sogar an einem FPC später operiert wurde. Ggf. könnten später angefertigte Röntgenbilder von den untersuchenden Tierärzten angefordert und noch mal angesehen werden. Dies könnte Aufschluss darüber bringen, wie sensitiv die vergangene Auswertung auf ED anhand der bisher angewendeten Röntgenlagerung war (insbes. die mediolateral gebeugte Aufnahme) . Es würde möglicherweise Aufschluss
darüber bringen, ob und in welchen Fällen ein höherwertiges, aber auch recht teures Diagnoseverfahren, die Computertomographie, sinnvoll wäre. Damit würde im Nachhinein etwas mehr Sicherheit über das Vorkommen der ED bei den Retrievern des DRC zu erhalten sein, was sicher im Sinne der Zucht wäre.
Unsere Lagerungsempfehlung zum Anfertigen von Röntgenaufnahmen auf Ellenbogendysplasie finden Sie hier (Stand April 2016)
Mit freundlichen Grüßen
Ihre
Prof. Dr. Andrea Meyer-Lindenberg
Hier noch zwei Fachartikel zum Thema:
1. ED-Einteilung der International Elbow Working Group
2. Tellhelm u.a.: Zur CT-Auswertung von ED